Parallel B | Donnerstag

13:00 – 14:30 Uhr

Bibliothek Ideenreich (Hauptraum)

Teil I: 

Martina Schäfer, Emilia Nagy, Jasmin Wiefek (ZTG – Zentrum Technik und Gesellschaft & tdAcademy), Oskar Marg, Lena Theiler (ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung & tdAcademy), Susanne Hecker (Museum für Naturkunde Berlin): Gesellschaftliche und wissenschaftliche Wirkungen verschiedener Forschungsmodi – Perspektiven aus transdisziplinärer Forschung und Citizen Science

Beiträge:

Schäfer, Martina / Nagy, Emilia / Wiefek, Jasmin (ZTG – Zentrum Technik und Gesellschaft & tdAcademy): Pfade gesellschaftlicher Wirkungen in der transdisziplinären Forschung

Marg, Oskar / Theiler, Lena (ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung & tdAcademy): Wirkungen transdisziplinärer Forschung auf wissenschaftliches Wissen und Reflexivität

Susanne Hecker (Museum für Naturkunde Berlin): Wissenschaftliche und gesellschaftliche Wirkungen von Citizen Science

In diesem Panel werden drei verschiedene Perspektiven auf das Thema gesellschaftliche und wissenschaftliche Wirkung vorgestellt. Zwei davon fokussieren auf den transdisziplinären Forschungsmodus und schauen dabei auf gesellschaftliche bzw. wissenschaftliche Wirkungen. Der dritte Vortrag stellt eine Perspektive auf Wirkungen aus dem Forschungsmodus Citizen Science vor.

Der erste Vortrag thematisiert die Veränderungen in der Gesellschaft, die transdisziplinäre Forschung auf der Ebene von Individuen, Gruppen und Organisationen zu bewirken vermag. In der transdisziplinären Forschung werden diese gesellschaftlichen Wirkungen wie bspw. Bildung von Netzwerken, Lerneffekte und Kompetenzerweiterung oder veränderte Praktiken und Strukturen in der Regel im Zusammenhang einer umfangreicheren gesellschaftlichen Transformation gesehen. Eine systematische Wirkungsorientierung ermöglicht den Projekten eine iterative Planung entlang von Wirkungspfaden, die plausible Zusammenhänge zwischen Forschungsaktivitäten und Forschungsergebnissen sowie angestrebten bzw. erzielten Wirkungen darstellen. Obwohl die Projekte ihre kontextabhängigen Wirkungen auf individuelle Art und Weise entwickeln, zeigen die Wirkungspfade im Projektvergleich ähnliche Strukturen und Zusammenhänge. Der erste Vortrag stellt Erkenntnisse aus mehreren Projekten formativer Evaluation vor.

Im zweiten Vortrag wird auf wissenschaftliche Wirkungen transdisziplinärer Forschung eingegangen. Wissenschaftliche Wirkungen können Lern- und Netzwerkeffekte und veränderte Praktiken bei wissenschaftlichen Individuen oder Institutionen sein, aber auch wissenschaftliche Wirkungen im klassischen Sinne, d.h. dass die in transdisziplinären Forschungsprozessen gewonnenen Ergebnisse für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess weiter genutzt werden. Vorgestellt werden die empirischen Ergebnisse einer explorativen Studie: Transdisziplinäre Forschung verändert das Verständnis der untersuchten wissenschaftlichen Probleme und die Qualität der Ergebnisse. Durch eine Beteiligung an transdisziplinären Prozessen nimmt zudem die Reflexivität der beteiligten Wissenschaftler*innen zu.

Citizen Science ist Ausdruck eines Wissenschaftsprozesses, der gesellschaftliche Teilhabe an der akademischen Wissensproduktion ermöglicht. Diverse gesellschaftliche Akteure erhalten die Möglichkeit zu zivilgesellschaftlichem Engagement und gesteigerten Mitsprachemöglichkeiten bei Anliegen von Wissenschaft und Forschung. Sie ebnet den Weg zur Aufnahme zivilgesellschaftlicher Fragestellungen in die Wissenschaft. Citizen Science bietet der Wissenschaft auf der anderen Seite die Möglichkeit, großskalierter qualitativer und quantitativer Datensätze und Erkenntnisse über große Gebiete oder längere Zeiträume zu generieren und zu verdichten. Citizen Science kann durch diese zweifache Verknüpfung des Verständnis für Wissenschaft und Forschung in der Bevölkerung stärken.

Anmerkung: Die Diskussion wird im Workshop „Synthese und Trade-offs. Zum Verhältnis wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Wirkungen in der transdisziplinären und partizipativen Forschung“ interaktiv fortgesetzt. Die Teilnahme am Panel ist vorteilhaft für die Teilnahme am Workshop.

Bibliothek Raum 211
Chair: B. Behrisch
Sandra Schulz, Antonia Stagge (TU Dresden/CODIP): „Young Adult Carers als Co-Forschende: Methodische Ansätze für partizipative Forschung und Technikentwicklung”

Der Beitrag gibt einen Einblick in das Vorgehen der partizipativen Forschung und Technikentwicklung einer Lern- und Vernetzungsplattform für junge pflegende Angehörige (Young Adult Carers (YAC)) im Projekt Kraft-Copilot. Ziel der Plattform ist es, die Selbstfürsorge der YAC zu fördern, indem passende Unterstützungsangebote und Peers für den Austausch vorgeschlagen werden sowie die Selbstreflexion angeregt wird. Das Vorhaben ordnet sich damit in den Kontext der partizipativen Gesundheitsforschung ein, indem neue Erkenntnisse gewonnen und Veränderungen angestoßen werden, die zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen beitragen und gesundheitliche Chancengleichheit stärken (PartNet 2015).

Das Projekt verfolgt den Ansatz der Community-basierten partizipativen Forschung und Technikentwicklung, bei der lebensweltlich Betroffene als Vertreter:innen der Gemeinschaft beteiligt sind und in verschiedenen Phasen aktiv an der Gestaltung der Plattform mitwirken (von Unger 2014). Die Forschungsgruppe arbeitet dabei mit verschiedenen Dialoggruppen als Co-Forschende zusammen: (a) im Rahmen einer projektbegleitenden Zusammenarbeit mit Vertreter:innen eines Bürger:innenbeirats (mutual consultation, nach dem Modell von Chung und Lounsbury 2006) und (b) im Rahmen der methodischen Umsetzung mit wechselnden bzw. punktuell akquirierten jungen informell Pflegenden (empowering co-investigation, nach dem Modell von Chung und Lounsbury 2006).

Der Beitrag adressiert (1) einen methodischen Ansatz zur Beteiligung an Forschung (Methode Photovoice) sowie (2) einen partizipativen Ansatz zur Technikentwicklung (Methode LEGO® Serious Play®).

(1) Ein zentraler Aspekt der partizipativen Forschung im Projekt Kraft-Copilot ist die Wissensgenerierung, welche gemeinsam mit YAC als Co-Forschende erfolgt, die ihre Erfahrungen und ihr Wissen einbringen und dabei gleichsam von den Ergebnissen lebensweltlich betroffen sind bzw. von ihnen profitieren. Ziel ist die Erforschung der Lebenswelt von jungen Erwachsenen in der Rolle pflegender Angehöriger. Das Erkenntnisinteresse zielt darauf ab, Belastungsfaktoren und Ressourcen sowie Ursachen der Belastungen zu identifizieren und daran anschließend Handlungsansätze zu entwickeln. Zur partnerschaftlichen Erforschung der Lebenswelt kommt die Methode Photovoice zum Einsatz. Hierbei machen die Teilnehmer:innen Fotos zu einer von ihnen selbst definierten Fragestellung. Anliegen ist es, den Blick für den Ist-Zustand zu schärfen, diesen zu dokumentieren und im Austausch miteinander zu reflektieren. Photovoice gibt den Teilnehmer:innen eine Stimme und kann dazu dienen, Missstände aufzuzeigen, Handlungsansätze zu entwickeln und sozialen Wandel anzustoßen (Sutton-Brown 2014). Der Beitrag stellt die Durchführung von Photovoice vor und reflektiert Herausforderungen und Gelingensbedingungen für die Umsetzung.

(2) Ziel der partizipativen Technikentwicklung im Projekt Kraft-Copilot ist es, kollaborative Designprozesse zu verbessern, zukünftige Nutzer:innen als Expert:innen der eigenen Lebenswelt einzubeziehen und deren implizites oder „stilles“ Wissen zu verstehen. Die Partizipation von Nutzer:innen in der Systementwicklung soll letztlich die Fähigkeiten der Nutzer:innen bei der Verwendung des Systems sowie die Nutzungsakzeptanz erhöhen (Doll, Torkzadeh 1989). Als gewählter Ansatz der gemeinschaftlichen Technikentwicklung kommt die Methode LEGO® Serious Play® (LSP) zum Einsatz. Mittels LSP bauen Teilnehmer:innen in einem moderierten Prozess Modelle mit Hilfe von LEGO®-Steinen zu konkreten Aufgabenstellungen. In einem Storytelling werden die gebauten Modelle mit den darin liegenden Metaphern erklärt. Die Methode wurde in der frühen Phase der Plattformkonzeption zur Ideenentwicklung angewendet. Der Beitrag stellt die Umsetzung der Methode sowie Ergebnisse vor und zeigt, wie kollaborative Designprozesse durch LSP unterstützt werden können.

Abschließend soll der Beitrag Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die Stärkung von Partizipation in der Forschung und Technikentwicklung formulieren.


Diana Stage, Verena Röll (TU Berlin): „Partizipation von Kindern durch Mobilitätsbildung”

Angesichts der entscheidenden Rolle des Verkehrs am globalen Treibhausgasausstoß, an Feinstaub und besonders in urbanen Räumen an Lärmimmissionen sowie an der noch immer hohen Zahl an Verkehrstoten ist es folgerichtig, dass über die Rolle des Verkehrs in der Gesellschaft kritisch nachgedacht wird. Sichtbar wird dies beispielsweise durch das verstärkte zivilgesellschaftliche Engagement für flächengerechte und lebenswerte Städte. Aus unserer Sicht besteht kein Zweifel, dass die mündige Teilhabe an der Gesellschaft auch die Auseinandersetzung mit eigenen Mobilitätsentscheidungen und deren Auswirkungen impliziert.
Die Partizipation von volljährigen Bürger:innen ist in der Stadt- und Verkehrsplanung keine Seltenheit mehr, jedoch werden Kinder und Jugendliche in der Regel nicht beteiligt. Mobilitätsroutinen werden in jungen Jahren geprägt und haben Einfluss auf das Mobilitätsverhalten im Erwachsenenalter. Für die Verkehrswende ist es deshalb wichtig, bereits die Jüngsten der Gesellschaft für eine nachhaltige Mobilität zu sensibilisieren und ihnen Möglichkeiten zu eröffnen, ihre Mobilität und ihre Umgebung aktiv mitzugestalten.
Die Einbindung von Kindern in Planungsprozesse ermöglicht, ihre Bedürfnisse stärker zu beachten. Angeregt durch die Frage, wie Mobilitätsbildung konkret umgesetzt werden kann, führen disziplinübergreifend das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung der Technischen Universität Berlin sowie der Arbeitsbereich Sachunterricht und seine Didaktik der Humboldt-Universität zu Berlin seit 2020 gemeinsam ein Forschungs- und Umsetzungsprojekt zum Thema durch. Dabei wurde die Partizipation der Kinder neben den Dimensionen Bewegung und Wahrnehmung als ein wesentliches Kernelement der Mobilitätsbildung identifiziert (vgl. Stiller, Röll, Miehle et al. 2023).
Ziel des Projektes ist die Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien für den Elementar- und Primarbereich. Die Entwicklung findet in enger Kooperation mit Praktiker:innen (Erzieher:innen in Kitas und Schulen sowie Lehrkräften) statt. Die Zusammenarbeit läuft dabei über die gemeinsame Durchführung von AGs, Workshops, Besprechungen und der Testung der Methoden und Materialien in den Einrichtungen. In dem geplanten Vortrag geben wir einen Einblick in den Entstehungsprozess des Materialpakets ‚mobiLogbuch‘.
Ferner stellen wir mit dem ‚Radverkehrs-Check‘ eine der im Projekt entwickelten Methoden vor, die es ermöglicht die Qualität der Radverkehrsinfrastruktur aus Sicht der Kinder zu bewerten. Der „Radverkehrs-Check“ ist eine Kombination aus Kiezspaziergang und Kartenerstellung, um sich mit der Fahrradinfrastruktur vor Ort auseinanderzusetzen, die Wahrnehmung der Kinder auf das Thema und ihre Bedürfnisse zu schärfen sowie eine Grundlage für die Mitgestaltung ihrer Umgebung zu schaffen. Der Vortrag widmet sich den Erkenntnissen, die Planende und Forschende aus „Radverkehrs-Checks“ gewinnen können, denn Kinderperspektiven in die Planung einzubeziehen, ist ein wesentlicher Bestandteil von kindgerechter Infrastruktur.
Stiller, J., Röll, V., Miehle, L. et al. (2023): Berliner Modell zur Mobilitätsbildung. Ein interdisziplinäres Modell. DOI 10.18452/2570


Nadine Teufel Tanja Kaufmann, Lena Volk, Max Kleemann, Alexandra Heyer, Eva Hummel (Max Rubner-Institut): „Transformationsorientierte Forschung mit vulnerablen Bevölkerungsgruppen: ELSinA als Pilotprojekt zur Verbesserung der Ernährungs- und Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren in Armut”

In Deutschland sind immer mehr Menschen von Altersarmut bedroht. Ihre Lebenssituation ist häufig gekennzeichnet durch einen geringen Grad an gesellschaftlicher Beteiligung, eine ungünstige Wohnsituation und einen beeinträchtigten Gesundheits- und Ernährungsstatus. Das Pilotprojekt ELSinA adressiert diese gesellschaftlichen Probleme und erforscht, wo und wie angesetzt werden sollte, um die Ernährungs- und Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren in Armut zu verbessern.

Inhaltliche Ziele des Projektes sind, einerseits die derzeitige Situation der Zielgruppe zu erfassen und andererseits Umsetzungswege für eine Situationsverbesserung zu entwickeln. Um das zu erreichen, wird ein transformationsorientierter Forschungsansatz angewandt, bei dem eine vulnerable Bevölkerungsgruppe zum Mitwirken eingeladen wird. Vulnerable Personen sind einer Vielzahl unterschiedlicher Belastungen ausgesetzt. Gleichzeitig können sie diese Bedingungen nur im geringen Maße selbst beeinflussen und haben begrenzte Möglichkeiten, den Belastungen zu begegnen.

In ELSinA werden armutsbedrohte ältere Menschen als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelt für die Teilnahme an einem transdisziplinären Forschungsprozess gewonnen. Neben Seniorinnen und Senioren werden Akteurinnen und Akteure aus sozialen Organisationen / Initiativen, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft eingebunden. Stufenweise soll gemeinsam Systemwissen zum IST-Zustand, Zielwissen zum SOLL-Zustand und Transformationswissen dazu, WIE zu diesem SOLL-Zustand gelangt werden kann, erarbeitet werden. Um der Transformationsorientierung sowie der Komplexität von Ernährungs- und Lebenssituationen gerecht zu werden, werden Ansätze aus empirischer Sozialforschung, Systemwissenschaften und Transdisziplinarität miteinander verknüpft. Dazu wird ein breites Methodenspektrum angewandt und aufeinander abgestimmt: Photovoice-Methode, semi-strukturierte Interviews, partizipative Systemmodellierung sowie weitere kollaborative Workshops in bedarfsgerechten Formaten.

Die aktive Teilnahme von Personen aus vulnerablen Bevölkerungsgruppen an einem solchen Prozess ist für alle Seiten herausfordernd. Eine Schwierigkeit ist beispielsweise die Ausgestaltung von partizipativen Formaten, so dass auch Personen aus vulnerablen Bevölkerungsgruppen gerne ihre Perspektive darin einbringen möchten und können. Da das Projekt über einen Zeitraum von mehreren Jahren angelegt ist, müssen auch Grundlagen für eine dauerhafte Motivation und Teilnahme geschaffen werden. Daneben kommen auch stärker ethische Aspekte wie ein geeigneter Umgang mit Machtungleichheiten ins Spiel, wenn im Rahmen des transdisziplinären Prozesses armutsbedrohte Seniorinnen und Senioren mit anderen Akteursgruppen zusammenarbeiten sollen.

Der Beitrag wird zunächst das Konzept für das ELSinA-Pilotprojekt vorstellen und dann auf spezifische Herausforderungen transformationsorientierter Forschung mit vulnerablen Bevölkerungsgruppen eingehen. Die angewendeten Methoden werden hierbei sowohl als Teil der Herausforderungen als auch als mögliche Antworten auf die Herausforderungen beleuchtet.


Raffael Barth, Melanie Kryst (Berlin University Alliance), Audrey Podann (TU Berlin): „Transdisziplinäre Entwicklung einer Forschungs-Agenda – das Beispiel Next Grand Challenge”

Berlin denkt weiter. Forscht anders. Innovativer. Und stellt sich den globalen Herausforderungen unserer Zeit. In einem gemeinschaftlichen Prozess von Teilnehmenden aus der Wissenschaft und der Gesellschaft wurde das Thema für die Next Grand Challenge der Berlin University Alliance gesucht. Dazu gehörten Forschende und Studierende sowie Jugendliche und Akteure aus Politik & Verwaltung, Wirtschaft und organisierter Zivilgesellschaft. Das ausgewählte Thema erforschen Wissenschaftlerinnen der BUA inter- und transdisziplinär. Themenvorschläge konnten dabei von Teams aus Forschenden und Studierenden sowie von Jugendlichen eingereicht werden und wurden zusammen mit ausgewählten Experten aus Politik, Wirtschaft sowie organisierter Zivilgesellschaft diskutiert. Dabei wurde bewusst auf diesen offenen und innovativen Ansatz der Themenfindung gesetzt, wobei sich insbesondere Berliner Jugendliche (14-18 Jahre) als relevante gesellschaftliche Gruppe eigneten. Mit den Grand Challenges möchte die BUA Zukunftsthemen identifizieren – dies sind Themen, die schon jetzt von großer Bedeutung sind, aber insbesondere für folgende Generationen von besonderer Relevanz sind. Deswegen war es besonders in der Phase der Themenfindung wichtig, diese Generation einzuladen und ihre Perspektive auf konkrete gesellschaftliche Herausforderungen unserer Zeit in den Diskurs einzubringen. Zudem sind Jugendliche noch nicht durch spezielle Fachausbildungen geprägt und haben eine eigene, unbefangene Perspektive, die neue Ideen ermöglicht. Um die Zusammenarbeit von derart unterschiedlichen Akteuren in einem ko-kreativen Prozess zu ermöglichen, bedarf es passgenauer transdisziplinärer Konzeption. Insbesondere eine Begegnung auf Augenhöhe von Wissenschaftlerinnen und Jugendlichen ist dabei eine Herausforderung, der methodisch begegnet werden musste. Ein Großteil der Forschenden ist es nicht gewohnt, in transdisziplinäre Prozesse eingebunden zu sein und dabei zusammen mit Jugendlichen an der Entwicklung einer Forschungsagenda zu arbeiten.
Deshalb mussten die teilnehmenden Jugendlichen zunächst befähigt werden, Themenvorschläge auszuarbeiten, deren Qualität einen gemeinsamen Cluster-Prozess mit den Themenvorschlägen aus der Wissenschaft ermöglichen. Dazu wurde ein Programm entwickelt, welches den Jugendlichen Workshops sowie einem Ideen-Camp die Fähigkeiten vermittelte, die sie zur Erarbeitung ihrer Themenvorschläge benötigten. Bei der Ausarbeitung wurden die Jugendlichen von Wissenschaftler*innen unterstützt und lernten, für ihre Themenvorschläge zu argumentieren und diese zu präsentieren.
Der Fachvortrag soll eine Antwort auf die Frage geben, wie eine Forschungsagenda zusammen mit der Gesellschaft gestaltet werden kann. Dabei soll insbesondere darauf eingegangen werden, welche Herausforderungen bei der Einbindung von Personengruppen mit unterschiedlichen Machtressourcen bestehen. Wir wollen diese und andere Herausforderungen in der Umsetzung des transdisziplinären Themenfindungsprozess der Next Grand Challenge vorstellen, mit Hinblick auf die verschiedenen Prozessschritte inklusive der unterschiedlichen Einbindung von Akteuren. Im Anschluss laden wir die Teilnehmenden dazu ein, über die Übertragbarkeit der learnings auf andere Prozesse zu diskutieren.

Bibliothek Raum 311
Nicola Moczek, Till Bruckermann, Hannah Greving, Vanessa van den Bogaert, Anna Theis, Valerie Knapp: „Von der Neugier zum Einsatz: Evaluation der Teilnehmenden-Motivation in partizipativen Forschungsprojekten”

Partizipative Methoden haben in den letzten Jahren schwunghaft an Bedeutung gewonnen und werden sehr häufig in der naturwissenschaftlichen Forschung eingesetzt. Sie bieten Möglichkeiten, Wissen und Erfahrungen verschiedener Akteure und gesellschaftlicher Gruppen in den Forschungsprozess einzubinden und somit zu einer umfassenderen und relevanteren Wissensbasis beizutragen. Bei der Evaluation von partizipativen Forschungsprojekten ist deswegen nicht nur die naturwissenschaftliche Erkenntnis, sondern auch eine genauere Betrachtung der Freiwilligen von Relevanz, um deren Motivation zu verstehen und langfristig aufrecht zu erhalten. Im Panel werden drei unterschiedliche Fallbeispiele aus der Evaluationspraxis vorgestellt, welche die Motivationen der Teilnehmenden, ihren Wissenszuwachs und ihre erlebte Selbstwirksamkeit untersuchen.

Vanessa van den Bogaert und Valerie Knapp geben erste Einblicke in die begleitende Evaluation des Citizen-Science-Projektes CS:iDrop® aus der Modellregion Bochum. Der Fokus liegt auf der Motivationsqualität der teilnehmenden Bürger:innen (N=288), chemische Fachmethoden zu erlernen und anzuwenden, um das eigene Leitungswasser sowohl mit einfachen Feldmethoden (zu Hause) sowie mit komplexen Analyseverfahren (im Messlokal) zu untersuchen und ihre Messwerte in einem Web-Portal (openSenseMap) für offene Daten bereitzustellen.

Der Beitrag von Till Bruckermann und Hannah Greving präsentiert Ergebnisse zur Beteiligung von N = 675 Teilnehmenden auf einer Citizen-Science-Plattform zur Wildtierökologie. Mittels Profil- und Transitionsanalysen wurden Beteiligungsmuster aus Nutzungsdaten über die Projektlaufzeit und für bestimmte Projektphasen (d.h. Datensammlung und Datenauswertung) analysiert und mit Personenmerkmalen wie Motivation in Beziehung gesetzt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Plattform während der Datensammlung aktiver genutzt wurde als während der Datenauswertung und sich die Beteiligungsprofile unterschieden haben. Die Ergebnisse werden im Zusammenhang mit der Motivation der Teilnehmenden diskutiert und Implikationen für die Partizipation an Crowd-Sourcing-Ansätzen in Citizen Science abgeleitet.

Nicola Moczek und Anna Theis stellen ihre Ergebnisse der projektbegleitenden Evaluation im Citizen-Science-Projekt „Spurensuche Gartenschläfer“ vor. Im zweijährigen Betrachtungszeitraum haben insgesamt 4.458 Personen Sichtungen von Gartenschläfern gemeldet und trugen damit wesentlich zur Erstellung einer umfassenden Verbreitungskarte des gefährdeten Kleinsäugers bei. Eine Analyse des Meldeverhaltens zeigt verschiedene Beteiligungsmuster auf. Die Ergebnisse der anschließenden Online-Befragung (N = 1.325 Teilnehmende) geben darüber hinaus wertvolle Hinweise zur Rolle der Kommunikation zwischen dem Expert*innenteam und den Citizen Science Volunteers (CSV) und setzen diese mit dem Melde-Engagement der Freiwilligen in Verbindung.

Hauptgebäude Raum 202
Workshop: Mathilde Bessert-Nettelbeck, Moritz Müller, Silke Voigt-Heucke (Museum für Naturkunde Berlin)

Um die Anerkennung partizipativer Forschung innerhalb der Wissenschaftscommunity zu verbessern, ist es erforderlich, die spezifischen Qualitätskriterien dieser Forschung sichtbar zu machen und den Kriterienkatalog für exzellente Wissenschaft zu erweitern. Welche besonderen Aspekte machen exzellente partizipative Forschung aus? Was sind Kriterien guter Wissenschaft, die für diese Forschungsmodi relevant sind? Um welche spezifischen Merkmale sollten gegenwärtig etablierte Exzellenzkonzepte der Wissenschaft in Zukunft ergänzt werden?

Der Diskurs um Exzellenz und Qualität in der Forschung geht jedoch über das Feld der Partizipation hinaus und steht im Fokus aktueller Debatten im gesamten Wissenschaftssystem: Das Agreement on Reforming Research Assessment der Coalition for Advancing Research Assessment (CoARA) plädiert für eine stärkere Berücksichtigung von Aspekten wie “diversity, inclusiveness and collaboration” zusätzlich zu “quality and impact” bei der Bewertung von Forschungsprozessen. Die Koalition betont die Notwendigkeit, sich von quantitativen Kriterien wie Rankings und Impact Faktoren zu lösen und die Qualität des Forschungsprozesses sowie die vielfältigen Modi von Forschung zu berücksichtigen. Das Abkommen wird bereits von 500 Forschungsinstitutionen aus der ganzen Welt unterstützt. Einige etablierte Bewertungssysteme sollen dabei erhalten bleiben, insbesondere Peer-Reviews in Form von Jurys, Gremien, Gutachter*innen aus der Forschung. CoARA sieht darin das fairste und effektivste Instrument, um Exzellenz in der Wissenschaft zu bewerten, sei es für Preise oder Förderungen. Es ist demnach weiterhin an der wissenschaftlichen Community den oft mehrdeutigen Exzellenz-Begriff selbst zu definieren und herauszuarbeiten, was gute oder sogar hervorragende Wissenschaft ist. In dieser Reformstimmung liegt eine Chance für die Partizipativ-Forschenden: Dank ihrer Erfahrung mit Evaluation und Impactforschung können sie relevante Impulse für die Formulierung erweiterter Exzellenzkritieren setzen; insbesondere in Bezug auf Kriterien für gesellschaftliche Relevanz, Vielfalt und Qualität von Kollaborationen. Diese Entwicklung hin zu offeneren Modellen der Forschungsbewertung sowie der Wunsch nach Transparenz über Kriterien und Prozesse der Begutachtung, hat uns in der Entwicklung eines neuen Preises inspiriert: Der Wissen der Vielen – Forschungspreis für Citizen Science, macht Ende November 23 zum ersten Mal sicht- und nachvollziehbar, was exzellente Forschung mit Citizen Science auszeichnet. 

In unserem Workshop stellen wir die konzeptuelle Arbeit von Bürger schaffen Wissen mit einer interdisziplinären Jury zur Entwicklung des Bewertungsframeworks des Forschungspreises vor. Durch den spezifischen Bezug des Preises auf Citizen Science, eröffnen wir eine Diskussion darüber, ob diese Kriterien sich auch auf andere Disziplinen der partizipativen Forschung anwenden lassen und inwiefern sich diese in ihren Qualitätsverständnissen gleichen oder unterscheiden. Dieser Austausch findet in einem World Café Format statt, in dem wir die einzelne „Dimensionen“ des Bewertungsframeworks vorstellen und diskutieren. Schließlich wollen wir gemeinsam über zukünftige Fragestellungen sprechen, denen sich die Partizipationscommunity im Rahmen des CoARA-Prozesses annehmen könnte. Der Input der Teilnehmenden wird in den Prozess der Preisweiterentwicklung und der Reflexion zu Exzellenz in der partizipativen Forschung einfließen. Die Ergebnisse des Prozesses zur Entwicklung der Preiskriterien, sollen langfristig dazu beitragen, das Verständnis von Exzellenz im deutschen und international Wissenschaftssystem zu verändern.

Coalition for Advancing Research Assessment (CoARA) (2022)

The Agreement on Reforming Research Assessment, https://coara.eu/app/uploads/2022/09/2022_07_19_rra_agreement_final.pdf

Hauptgebäude 208
Chair: W. Rössig
R. Jende (Anstiftung), G. Beck (Hochschule München): „Das Demokratiecafé als Ergebnis transdisziplinärer Forschung. Zwischen institutionellen Herausforderungen und transformativer Praxis“

Das Demokratiecafé als Fallbeispiel eines transdisziplinären Forschungsprozesses ist das Resultat des Forschungsprojekts „RePair Democracy. Soziale Innovationen als Experimentierfeld demokratischer Mikropraktiken“, das als Teilprojekt des Bayerischen Forschungsverbundes „ForDemocracy. Zukunft der Demokratie“ von 2018 bis 2022 an der Hochschule München durchgeführt wurde. Der Forschungsverbund erhob selbst den Anspruch, auf innovative Weise transdisziplinäre und transformative Methoden der Sozialforschung zu erproben. In der Selbstbeschreibung des Verbundes heißt es: „Der Forschungsverbund ‚Zukunft der Demokratie‘ will diesen Austausch zwischen Universität und Praxis sowie über Disziplingrenzen hinweg ermöglichen. In der Zusammenarbeit von Forscherinnen und Forschern aus den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie gesellschaftlichen Akteuren soll ausgelotet werden, wie die Gesellschaft auf die Herausforderungen reagieren kann, die mit der Legitimationskrise der Demokratie verbunden sind.“ Die Beteiligung von Nichtwissenschaftler:innen am Prozess der Erkenntnisproduktion waren in unserem Teilprojekt ebenso Bestandteil des Forschungsprozesses, wie umgekehrt, unsere Beteiligung als Wissenschaftler:innen an einer transformativen Praxis.
Im Vortrag möchten wir den transdisziplinären und partizipativen Forschungsprozess rekapitulieren und nachzeichnen, wie daraus eine demokratische Innovation entstanden ist, die fortan als transformative Praxis diffundiert. Dabei wenden wir uns vornehmlich den Konzepten und Methoden dieses konkreten Fallbeispiels transdisziplinärer Forschung zu, ohne die Wirkungen oder ethischen Herausforderungen zu unterschlagen. Forschungspraktisch musste immer wieder zwischen Anforderungen des wissenschaftlichen Feldes und einer unter Handlungsdruck stehenden Praxis mit ihren jeweiligen Eigenzeiten und Logiken vermittelt werden.
In der ersten Hälfte der Projektlaufzeit von „RePair Democracy“ wurden Repair Cafés qualitativ beforscht, die als Teil der Do-It-Together Bewegung auf sozial innovative Weise Probleme der Müllproduktion und des Überkonsums adressieren. Repair Cafés organisieren sich vorwiegend basisdemokratisch selbst. Die dort eingeübten demokratischen Praktiken haben wir im Projekt erforscht, um diese in einem anderen Format – dem Demokratiecafé – auf die demokratische Gestaltung geteilter Lebensräume zu übertragen: Anstelle eines defekten Gegenstandes wird ein Ding von Belang (Bruno Latour) als Anliegen zur Gestaltung des Lebensumfeldes ins Demokratiecafé eingebracht. Entwickelt wurde das Format transdisziplinär und partizipativ im Modus kollaborativen Forschens (Bogusz 2020). In einem ersten Schritt wurden mit Interviews, teilnehmenden Beobachtungen und Lektüren Daten zur Selbstorganisation und Gemeinschaftsbildung in Repair Cafés erhoben und ausgewertet. In einem zweiten Schritt haben wir zusammen mit Praxispartner:innen aus Zivilgesellschaft und Kulturarbeit das Demokratiecafé entwickelt und mit den beteiligten Akteuren die partizipative Gestaltung von Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen an unterschiedlichen Orten erprobt. Das Feld hat sich dabei als äußerst dynamisch herausgestellt – nicht zuletzt durch die Erschwerungen der Corona-Pandemie. In einem iterativen Lernprozess hatten wir es mit unterschiedlichsten Akteuren zu tun, die verschiedene Systemlogiken bedienen. Das wirkte sich auch auf das Rollenverständnis als Forschende aus, der*die am ehesten als „transdisziplinäres Subjekt“ (Nicolescu 2002) gefasst werden kann. Mit dem Ende einer Projektlaufzeit endet jedoch eine in Gang gesetzte Praxis nicht. Das co-produzierte Transformationswissen wird seit 2023 zusammen mit der ehemaligen Praxispartnerin anstiftung als „Netzwerk Demokratiecafés“ in einer transformativen Praxis verankert und weiterhin forschend begleitet. An einen akademischen disziplinären Normalbetrieb stellt das ganz neue Herausforderungen, die im Vortrag allerdings nur am Rande gestriffen werden können. Unser Augenmerk legen wir auf Rahmenbedingungen, Zielsetzungen und den kollaborativen Forschungsprozess unter Einbezug verschiedener Akteursgruppen zur Co-Produktion von Wissen und Praxis.

Literatur
Bogusz, Tanja. 2020. Kollaboratives Forschen. In: Handbuch Öffentliche Soziologie hrsg. von Selke et al., Springer VS.
Nicolescu, Basarab. 2002. Manifesto of transdisciplinarity. Albany: State University of New York Press.


Josephine Schmitt, Samuel Simon (Center for Advanced Internet Studies
): Von Sekunde Null: „Partizipative Beteiligung der Gesellschaft am Agendasetting in der Wissenschaft”

Die Bedeutung adaptiver und partizipativer wissenschaftlicher Forschungsprozesses außerhalb des sprichwörtlichen Elfenbeinturms nimmt zu. Dies gilt insbesondere für die Digitalisierungsforschung, wo Themen unter Berücksichtigung ihrer mehrdimensionalen sozio-technologischen Interdependenzen untersucht werden. Wie reagiert die Digitalisierungsforschung auf diese komplexen Zusammenhänge? Wie können aktuelle Themen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse unterschiedlicher gesellschaftlicher Stakeholder identifiziert werden?
In vielen von agilen Arbeitsmethoden geprägten wirtschaftlichen Bereichen werden die Beteiligung und Zusammenarbeit verschiedener Interessengruppen als grundlegender Bestandteil von Arbeitsprozessen angesehen, wodurch inter- und transdisziplinäre Synergien geschaffen und genutzt werden. Auch die wissenschaftliche Forschung blickt auf eine vielversprechende Geschichte verschiedener partizipativer Ansätze zurück.
Im CAIS-Forschungsinkubators verbinden wir die Ansätze aus Wissenschaft und Praxis, um mit gesellschaftlichen Stakeholdern fortlaufend relevante Forschungsthemen für die Digitalisierungsforschung zu erarbeiten. In einer ersten Iteration, zwischen 2019 und 2021, wurden basierend auf dem Innovations-Framework „Double Diamond“ in mehreren partizipativen Studien Themen für die ersten drei CAIS-Forschungsprogramme identifiziert.
Seitdem führen wir den Themenfindungsprozess in diversen partizipativen Formaten mit den unterschiedlichsten Zielgruppen und Methoden weiter. Ziel ist es einerseits, Menschen bereits in einer sehr frühen Phase—noch bevor das eigentliche Forschungsprojekt startet—an Wissenschaft zu beteiligen. Andererseits wollen wir damit die Relevanz und Akzeptanz unserer Forschung stärken, indem Perspektiven von Personen in die Formulierung von Fragestellungen eingebunden werden, die in diesem Bereich nur selten eine Stimme haben.
Auf der Konferenz möchten wir Ergebnisse unterschiedlicher Formate vorstellen und diskutieren, die wir seit 2021 durchgeführt haben. Schwerpunkt liegt dabei auf ersten Ergebnissen einer qualitativen Studie, die wir im Sommer 2023 im Rahmen eines Musikfestivals durchgeführt haben. Um zu erfahren, was den Menschen im Hinblick auf die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für Individuum und Gesellschaft wichtig ist, haben wir sie ihren Blick in die Zukunft einer von Digitalisierung geprägten Gesellschaft malen lassen. In diesem Zusammenhang waren wir insbesondere an ihrer Vorstellung der Verbindung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung interessiert.


Alfred Rütten (Friedrich-Alexander Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg
): „Schleifen wir den Elfenbeinturm oder richten wir uns darin ein? Ein Plädoyer für mehr Selbstreflexivität in der partizipativen und transdisziplinären Forschung“

Ausgehend von der wissenschaftstheoretischen Kontroverse darüber, ob der Aufschwung transdisziplinärer (TD) Forschung als anmaßend-unangemessener Angriff auf das Wissenschaftssystem insgesamt oder lediglich als partikulare Ergänzung zu verstehen ist, wird zunächst der Frage nachgegangen, was wir überhaupt an wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Auswirkungen von TD-Forschung auf das Wissenschaftssystem haben.

Obwohl etablierte Konzepte wissenschaftliche Wirkungen und gesellschaftliche Wirkungen als grundlegende Zieldimensionen ausweisen, ist das Erstarken der TD-Forschung primär auf den „gesellschaftlichen Wirkungsast“ bezogen. Im Hinblick auf den „wissenschaftlichen Wirkungsast“ sind die wenigen Ansätze primär auf wissenschaftliche Wirkungen im traditionellen Sinne, d.h. vor allem wissenschaftliche Publikationen, fokussiert. „Strukturwirkungen”, also eben auch die möglichen Veränderungen am Wissenschaftssystem selbst, spielen dagegen kaum eine Rolle.

Am Fallbeispiel eines sowohl in Gesundheitswissenschaften als auch in Sportwissenschaft erfolgreich zur nachhaltigen Strukturentwicklung eingesetzten Ansatzes partizipativer und transdisziplinärer Forschung (Interactive Knowledge-to-Action (IK2A) mittels des Ansatzes der Kooperativen Planung) wird aufgezeigt, was an kursorischen Erkenntnissen zu den wissenschaftlichen Auswirkungen dieses Ansatz vorliegt. Dabei wird bewusst über wissenschaftliche Publikationen hinaus auf Beiträge zur Theorie- und Strukturentwicklung eingegangen.

An dem Fallbeispiel anknüpfend wird abschließend skizziert, was stärker selbstreflexiv vorgehende TD-Forschung in Zukunft vordringlich erforschen sollte, um die „blinden Flecke“ im Hinblick auf ihre wissenschaftlichen Wirkungen zu beseitigen.


Michaela Zöhrer (Universtität Augsburg): „Über Partizipation hinaus? Partizipative Forschung an der Schwelle zur Selbstorganisation“

Sabine Flick und Alexander Herold (2021: 307) fordern, dass die „partizipativen Projekte […] aus dem Feld kommen und von dort aus nachgefragt oder zumindest kontrolliert werden [müssen], um sich als tatsächlich partizipative und epistemisch offene Projekte qualifizieren zu können“. Gerne möchte ich in meinem Fachvortrag einige Einsichten und Beobachtungen aus zwei sehr unterschiedlichen partizipativen Projekten teilen, die diesem (hohen) Anspruch gerecht zu werden scheinen. Sie liefern Beispiele dafür, wie einigen gängigen – vor allem ethischen, aber auch institutionellen – Herausforderungen partizipativen Forschens begegnet werden kann. Gleichzeitig gilt es in diesen Projekten wiederum spezifische Fallstricke zu überwinden, die auch damit zusammenhängen, dass sich partizipative Forschung hier an der Schwelle zu selbstorganisierten Forschungsprozessen bewegt, die tendenziell „über Partizipation hinaus“ gehen. (Das Bild der Schwelle soll zweierlei Vorstellungsbilder aufrufen: das Überschreiten der Schwelle, wobei genauer zu fragen wäre, von welchen Seiten kommend die Schwelle überschritten wird; und das Stehenbleiben an der Schwelle, mitunter verbunden mit dem Begehren um Einlass.)

(Sprachlich) Bezug nehme ich hier auf das bekannte Stufenmodell der Partizipation nach Wright, von Unger und Block (2010), dessen oberste Stufe „Selbstorganisation“ heißt. ‚Dort‘ werde insofern über Partizipation hinausgegangen, als dass eine Maßnahme oder ein Projekt nicht nur „von Mitgliedern der Adressatengruppe selbst initiiert und durchgeführt“ wird, sondern alle Entscheidungsträgerinnen Mitglieder dieser Gruppe sind (Bethmann/Hilgenböcker/Wright 2021: 1086). Vor diesem Hintergrund geraten die Beteiligungsformen und möglichen Rollen der Wissenschaftlerinnen (neu) in den Blick, die an selbstorganisierten Projekten oder Projekten ‚an der Schwelle zur Selbstorganisation‘ eben nicht selbstverständlich teilhaben. Damit zusammenhängend kann auch die legitimierende und Autorität verbürgende Bedeutung der Beteiligung von Wissenschaftler*innen nochmals stärker ins Bewusstsein rücken: So werden Prozesse mit einem hohen Grad an Selbstorganisation keineswegs nur in definitorischer Absicht von partizipativer Forschung abgegrenzt, sondern es wird mitunter infrage gestellt, ob es sich überhaupt um Forschung handle, was gravierende Folgen etwa hinsichtlich der Anerkennung der gewonnenen Erkenntnisse oder für die Finanzierung haben kann.

Diese und weitere Aspekte diskutiere ich ausgehend von Einsichten, die sich (gemeinsam mit vielen neuen Fragen) im Rahmen meiner Mitarbeit an einem epistemische Gewalt adressierenden, selbstinitiierten Forschungsprozess einer von Überlebenden schwerster Menschenrechtsverletzungen geleiteten Nichtregierungsorganisation eröffnet haben. Ein wichtiger Teilerfolg dieses survivor-centric Prozesses ist, dass die erfahrungsbasierte Kritik der Überlebenden und ihre Vorschläge dazu, wie über die selbstbestimmte Teilhabe von Überlebenden zu einem ‚Undoing‘ epistemischer Gewalt in akademischer Wissensproduktion beigetragen werden kann, in einem wissenschaftlichen peer-reviewed Journal veröffentlicht werden. Zudem speise ich Erfahrungswerte aus dem Projekt „KomPa: Kommunale Konfliktberatung und Partizipative Konfliktforschung“ ein, bei dem die beteiligten professionellen Praktikerinnen (oft mit einem sozialwissenschaftlichen Background) auch ohne Beteiligung von ‚uns Wissenschaftlerinnen‘ systematische Reflexionsprozesse initiieren und durchführen, weshalb sich etwa die Frage nach dem Mehrwert wissenschaftlicher Beteiligung stellt.

Literatur
Bethmann, Andreas/Hilgenböcker, Elke/Wright, Michael T. (2021): Partizipative Qualitätsentwicklung in der Prävention und Gesundheitsförderung, in: Tiemann, Michael/Mohokum, Melvin (Hrsg.): Prävention und Gesundheitsförderung. Wiesbaden: Springer, 1083-1095.
Flick, Sabine/Herold, Alexander (2021): in: dies. (Hrsg.): Zur Kritik der partizipativen Forschung. Forschungspraxis im Spiegel der Kritischen Theorie. Weinheim: Beltz Juventa, 287-313.
Wright, Michael T./von Unger, Hella/Block, Martina (2010): Partizipation der Zielgruppe in der Gesundheitsförderung und Prävention, in: Wright, Michael T. (Hrsg.): Partizipative Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung und Prävention. Bern: Hans Huber, 35-52.

Stadtlabor
M. Günther M. Freiermuth, M. Schwarzkopf, M. Kreußlein (TU Chemnitz), , B.Lotze (Stadt Chemnitz): „Wirkmechanismen von Partizipation identifizieren und verstehen”
Impulsgebende:
B. Lotze: Praktische Bürgerbeteiligung in der Stadt- und Verkehrsplanung
M. Freiermuth: Akteure und involvierte Personengruppen identifizieren und einbinden
M. Schwarzkopf: Das Potential technischer Unterstützungsmethoden: Mixed Reality trifft digitale & integrative Raumplanungs- und Partizipationskonzepte
M. Günther & M. Kreußlein: Anforderungen an erfolgreiche Bürgerbeteiligungen und erste empirische Ergebnisse zu Wirkmechanismen

Die Ergebnisse aus bisherigen Studien und Reallaboren zur partizipativen Stadt- und Verkehrsplanung unterstreichen die positiven Effekte von Bürgerbeteiligungen. Dabei konnte u.a. gezeigt werden, dass der Einsatz von Bürgerbeteiligungen in der Stadt-und Verkehrsplanung zur Förderung eines nachhaltigen Mobilitätsbewusstseins und der Akzeptanz der umgesetzten städtebaulichen Transformationen beiträgt (Bienzeisler, Martinetz, & Günther, 2022; Günther, et al., 2023).
Doch wie sollten Bürgerbeteiligungen in der Stadt- und Verkehrsplanung konzipiert und umgesetzt werden, damit diese zu den gewünschten Effekten führen können? Warum funktioniert Bürgerbeteiligung und was sind die zugrundeliegenden Wirkmechanismen? Im vorliegenden Beitrag stellen wir uns diesen Fragen und geben Einblicke in das interdisziplinäre Forschungsprojekt NUMIC 2.0 (https://www.chemnitz.de/numic), das die Konzeption und Durchführung unterschiedlicher Bürgerbeteiligungen wissenschaftlich begleitet.
Der theoretische Ansatz untersucht dabei die Wirkmechanismen der Bürgerbeteiligung. Zur Identifikation dieser werden die Beteiligungsprozesse in vier entscheidenden Faktoren variiert und evaluiert: i) Bezugsrahmen & Beteiligungsebene, ii) Involvierung unterschiedlicher Personengruppen und Akteure, iii) Beteiligungszeitpunkt sowie iv) Potential digitaler Unterstützungsformate für Bürgerbeteiligung. Letzter Faktor umfasst die Entwicklung neuer (partizipativer) Unterstützungsformate, unter anderem mit Virtual Reality-Technologien (VR) und Schärfung vorhandener Instrumente der integrierten Verkehrsplanung. Die städtische Öffentlichkeit mit ihren unterschiedlichen Personengruppen und Akteuren wird als überspannende Bürgercommunity einerseits breit informiert, und andererseits konkret und zielgruppenspezifisch für Transformationsprozesse aktiviert.
Im Rahmen des Beitrags präsentieren wir erste Ergebnisse aus den bisherigen Bürgerbeteiligungen. In diesen wurden bereits unterschiedliche digitale Unterstützungsmethoden variiert, Bürger*Innen zur Anforderungen an erfolgreiche Beteiligungen interviewt sowie zu ihrer Beteiligungszufriedenheit und zukünftigen Beteiligungsabsicht befragt. Mit den Ergebnissen möchten wir zu einem besseren Verständnis zu den Anforderungen an Bürgerbeteiligungen in der Stadt- und Verkehrsplanung beitragen sowie Empfehlungen für eine erfolgreiche Konzeption und Durchführung aussprechen.

Nach oben scrollen